Ein Kommentar von Söhnke Grams: Vorschau auf IndustryConnect 11 mit Nutzenmessung für Kollaborationssoftware (BRECS)

Benefits Realisation Management   Kommentar   Workshops

Veröffentlicht am 25. Februar 2020 von Dr. Söhnke Grams

Dieser Beitrag bezieht sich inhaltlich auf den 11. IndustryConnect-Workshop.

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Der Nutzen von Informationstechnologien ist von OGC (2011) definiert als das messbare Resultat eines Projektes, das von Interessensvertretern als positiv wahrgenommen wird und die Erreichung eines Unternehmensziels unterstützt. Die Einschätzung der Höhe des Nutzens bedingt demnach, dass dieser quantifizierbar ist. Populäre Beispiele für Nutzen aus der Einführung von Enterprise Collaboration Systems (ECS) sind das schnellere Auffinden von Experten (Liu et al. 2013) oder die Intensivierung des Wissenstransfers (Majchrzak, Wagner, and Yates 2006).

In der Praxis besteht eine deutliche Herausforderung, den geplanten bzw. tatsächlich realisierten Nutzen von ECS zu verstehen und valide messen und damit bewerten zu können. Dies betrifft, je nach Unternehmen, sowohl vollintegrierte Suites (wie z.B. HCL Connections) als auch Social Software innerhalb einer Portfolio-Lösung (z.B. Microsoft Office 365 in Kombination mit Atlassian Confluence und Jira). Als Resultat stehen einige Anwenderunternehmen nach jetzt über 10 Jahren Erfahrung in einer Art Schock-Starre bezüglich ihres eingesetzten Toolportfolio („Wir wissen nicht weiter, also machen wir lieber gar nichts und beobachten den Markt der Kollaborationslösungen“) oder vor großen technischen Umbrüchen („Funktioniert alles nicht wie geplant, also muss die alte Technologie weg und eine neue her“). Entscheidungen basieren dabei in guter alter Projekt-Management-Manier auf den Faktoren Kosten (z.B. Software-Lizenzen, Personaleinsatz, Service) und Funktionsumfang (z.B. „die Software macht, was wir brauchen“). Und das ist auch logisch, da entsprechende Bewertungskriterien etabliert, leicht zu beurteilen sind und relativ schnell zu einem nachweisbaren Ergebnis führen (Lizenzen gekauft >>> Software installiert >>> Onboarding der Mitarbeiter >>> Projektende). Der Grund, warum jedoch die meisten Unternehmen keinen nachweisbaren bzw. spürbaren Nutzen nachweisen können/wollen/dürfen, wurde in mehreren von der CEIR-Forschungsgruppe durchgeführten Experteninterviews und Fokusgruppen deutlich und deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen (siehe z.B. Herzog et al. 2014):

  • Der Nutzen von Social Software wird zwar implizit gewünscht, jedoch von Unternehmen in der Regel unzureichend geplant und auch nicht immer richtig verstanden. Es existieren Erwartungshaltungen (u.a. auch von eifrigen Verkäufern der Software-Anbieter suggeriert und durch ominöse Auftragsstudien bestätigt), dass die Einführung von Social Software unmittelbar zur Erreichung monetärer Geschäftsziele führt. Gemäß unseren Beobachtungen führen diese Systeme jedoch (wenn überhaupt) indirekt zu geldwerten Vorteilen, insofern Annahmen zugelassen werden, wie z.B. dass eine erhöhte Informiertheit der Mitarbeiter zu weniger kostenintensiven Fehlentscheidungen im Unternehmen führt. Auch dann müsste nachvollzogen werden können, ob, wie, wann und in welcher Maßeinheit die Informiertheit positiv durch die Nutzung der Kollaborationslösung erhöht wird.
  • Falls der Nutzen vor oder nach der Softwareeinführung geplant wird, sind diese Ziele oft nicht eindeutig genug formuliert und unzureichend intern kommuniziert. Zum Beispiel wurde uns von mehreren Verantwortlichen desselben ECS eines Anwenderunternehmens mitgeteilt, dass das „Engagement“ im Unternehmen durch die Zurverfügungstellung von Social Software „verbessert“ werden solle und dieses auch mit der Geschäftsführung abgesprochen sei. Keiner der Gesprächspartner konnte jedoch eine Erklärung dafür anbieten, was mit diesem Begriff genau gemeint ist, wie hoch/niedrig/breit/tief/kalt/warm/dick/dünn (?) dieses „Engagement“ vor der Softwareeinführung war und wie ein Veränderung nach Softwareeinführung festgestellt werden solle. De facto handelte es sich also eher um einen unspezifischen Wunsch, von dem nicht bekannt ist, ob, wie, wann und in welcher Form er eintreten könnte. Wenn er da ist, „würde man es merken“. Bitte nicht falsch verstehen. Weder machen wir uns lustig noch wollen wir jemanden vorführen. Es handelt sich hierbei nur um ein repräsentatives Beispiel, dass wir in ähnlicher Form mit anderen „Zielen“ auch in anderen Unternehmen identifizieren konnten.
  • Mehrere Verantwortliche aus den uns bekannten Anwenderunternehmen sind davon überzeugt, dass Kennzahlen sie in eine Rechtfertigungsposition drängen, Kennzahlen ein Relikt der Industrialisierung seien und dass es für moderne Stakeholder absolut reicht, daran zu „glauben“, dass alles gut läuft. Entsprechende Personen sind meist in eher höheren Hierarchiestufen im Unternehmen angesiedelt und genießen das direkte, uneingeschränkte Vertrauen der Geschäftsführung. In nicht nur einem uns bekannten Fall trat ein Paradigmenwechsel aufgrund wirtschaftlich bedingter Einsparungsmaßnahmen ein. Alles, und somit auch die Existenzberechtigung des ECS, wurde auf einmal auf den Prüfstand gestellt, sodass sich die Promotoren der eingeführten Lösung abrupt und unvorbereitet in einer Rechtfertigungsposition befanden, jedoch ohne zeitnah valide Argumente in Form von Kennzahlen über den realisierten und geschäftsrelevanten Nutzen liefern zu können. Die aktuellen Software- und Anbieterwechsel sind, so sind wir überzeugt, teilweise die Resultate dieser Ohnmacht.
  • Use Cases, wie z.B. das Projektmanagement, Event-Planungen, Wissensmanagement oder interne Kommunikation, lassen sich, je nach Gusto der Benutzer, durch eine Vielzahl kollaborativer Features unterstützen. Informationen können beispielweise innerhalb eines Workspaces via Blog, Forum oder Wiki geteilt werden. Diese interpretative Flexibilität führt zu einer inkonsistenten Plattformnutzung, die es auf Logfile-Ebene verhältnismäßig schwer macht, nachzuvollziehen, was auf der Plattform geschieht oder eben nicht geschieht. Dementsprechend schwierig sind die Bedingungen für die Entwicklung von Kennzahlen, die über die reine Nutzungsmessung (Usage, wie z.B. Anzahl der Blogs, Kommentare oder registrierte Benutzer) hinausgehen und einen Aufschluss darüber bieten, welcher Nutzen (Benefit) realisiert wurde.
  • Die auf Unwissenheit fußende Angst, Mitarbeitern selbst durch streng anonymisierte Umfragen und Datenbankanalysen zu schaden, stellen für etwaige Initiativen im Unternehmen den Todesstoß dar.
  • Uns sind maximal nur eine Handvoll Unternehmen bekannt, die den Verantwortlichen des ECS ausreichend Ressourcen (qualifiziertes Personal sowie die Zeit, um Erfahrung, Wissen und Fähigkeiten zu entwickeln) zur Verfügung gestellt haben, um eigene Lösungen zu entwickeln. Die meisten Versuche sind gemäß unserer Beobachtungen nicht von Erfolg gekrönt und reichen nicht über die bereits erwähnte Nutzungsmessung (Usage) in ihrer rudimentärsten Form hinaus. Vor allem scheinen sich Unternehmen davor zu scheuen, regelmäßig (!) und strukturiert (!) ihre Mitarbeiter zu befragen. Auch dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn die Ziele zu unspezifisch formuliert und damit die verbundenen Fragen nicht bekannt sind.
  • Es existieren bis dato keine uns bekannten, in der Praxis umsetzbaren Methoden oder sonstige Lösungen, um den Nutzen (Benefit) der Social Software in einem spezifischen Unternehmen zu messen. Wer bereits die Nutzung (Usage) mit Produkten von z. B. Panagenda, ISW oder Mindlab misst, ist zumindest schon einmal auf dem richtigen, wenn auch noch langen Weg bis zur Erreichung einer zielführenden Nutzenmessung (Benefit).

Diesen und weiteren Herausforderungen widmet sich das gesamte CEIR-Team nun mittlerweile seit fünf Jahren in Zusammenarbeit mit interessierten Unternehmensvertretern im Rahmen der Initiative IndustryConnect. Eines der neusten lösungsorientierten Ergebnisse dieser zeit- und arbeitsaufwendigen Forschung ist eine technologieagnostische Methode zur strukturierten Entwicklung von unternehmensspezifischen Scorecards für das kennzahlengestützte Benefits Realisation Managements für Enterprise Collaboration Systems. Eine Veröffentlichung der Methode strebt unser Forschungsteammitglied Söhnke Grams in Form seiner Dissertation im dritten Quartal 2020 an. Die Forschungsergebnisse basieren auf den Datenerhebungen des CEIR-Teams sowie auf den mindestens ebenso wertvollen Veröffentlichungen anderer Wissenschaftler aus verschiedenen Forschungsdisziplinen.

Methode zur Entwicklung von Benefits Realisation Management Scorecards (BRECS)

Den Teilnehmern von IndustryConnect wird am 02./03. April 2020 im Rahmen des 11. Workshops diese Methode sowie einige prototypische Scorecards (am Beispiel des operativen ECS UniConnect) detailliert vorgestellt. Die bereits entwickelten Scorecards basieren auf den relevanten Fragestellungen von drei in der Forschung involvierten Anwenderunternehmen, die zusammen ca. 25 Jahre Erfahrung beim Einsatz von ECS einbringen. Die Stakeholder dieser Unternehmen möchten unter anderem kennzahlengestützte Erkenntnisse darüber erlangen, ob das eingesetzte Kollaborationssystem den Wissenstransfer zwischen Abteilungen im Unternehmen erhöht. Als besonderes Highlight werden passend zu den Scorecards mehrere funktionsfähige Prototypen von Business Intelligence Dashboards demonstriert, die auf MS Power BI basieren, eine Echtzeitanalyse der vorliegenden Daten ermöglichen und oben erwähnte (Teil-)Fragen zur Nutzenrealisierung beantworten.

Screenshot eines funktionsfähigen Dashboard-Prototypens zur Identifikation von Workspaces, in denen abteilungsübergreifende Zusammenarbeit auf dem Kollaborationssystem UniConnect (HCL Connections 6.0 CR4) stattfindet.

Eine Anmeldung zum 11. IndustryConnect Workshop ist für Mitglieder von IndustryConnect weiterhin möglich. Nicht-Mitglieder können uns gerne kontaktieren, um kostenlos Mitglied zu werden und kostenlos am erwähnten Workshop teilzunehmen. Weitere Informationen und Teilnahmebedingungen finden Sie unter Teilnahme.

Quellen:

  • Herzog, C., Richter A., Steinhüser, M., Hoppe, U., Koch, M. 2014. “Barrieren Der Erfolgsmessung von Enterprise Social Software.” Multikonferenz Wirtschaftsinformatik (MKWI) 2014, 1682–1694.
  • Liu, D., Wang, L., Zheng, J., Ning, K., Zhang, J.-L. 2013. “Influence Analysis Based Expert Finding Model and Its Applications in Enterprise Social Network.” Proceedings – IEEE 10th International Conference on Services Computing, SCC 2013, 368–75.
  • Majchrzak, A, Wagner, C. and Yates, D. 2006. “Corporate Wiki Users: Results of a Survey.” In Proceedings of the International Symposium on Wikis, 99–104.
  • OGC. 2011. Managing Successful Programmes. London: Stationery Office.

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Dr. Söhnke Grams

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Dr. Söhnke Grams ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Betriebliche Anwendungssysteme der Universität Koblenz. Er schloss sowohl den Diplomstudiengang Betriebswirtschaft an der FHDW Hannover als auch den Master-Studiengang Marketing und Channel-Management an der Universität Göttingen ab. Im Anschluss arbeitete er als World Wide Community Coordinator bei Ubisoft Blue Byte. Seine aktuelle Forschung fokussiert sich auf das Benefit Realisation Management von Enterprise Collaboration Systems.

Weitere Ansprechpersonen

Prof. Dr. Petra Schubert

Professorin

Petra Schubert ist Professorin im Fachbereich Informatik an der Universität Koblenz. Sie ist Leiterin des Competence Centre for Collaboration Technologies (UCT) und Mitgründerin von IndustryConnect. Sie ist Expertin für industrieorientierte Forschung und hat die eXperience-Fallstudienmethodik mitentwickelt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Betrieblichen Anwendungssysteme mit einem speziellen Fokus auf hoch skalierten Softwaresystemen wie Enterprise Resource Planning Systems und Enterprise Collaboration Systems.

Prof. Dr. Susan P. Williams

Professorin

Sue Williams ist Professorin im Fachbereich Informatik an der Universität Koblenz. Sie leitet die Forschungsgruppe Enterprise Information Management sowie deren zwei Forschungslabore, das Information Design Lab und das Enterprise of Things Lab, und ist außerdem Mitgründerin von IndustryConnect. Sie ist eine interdisziplinäre Forscherin mit Erfahrungen im Bereich der sozialen und organisationalen Informatik. Ihre Forschung untersucht komplexe sozio-technologische Veränderungen (Social-Technical Change) sowie die anwendungsorientierte Gestaltung von Informationsartefakten und des Digitalen Arbeitsplatzes.

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